Die Entstehung des Islam - Die ersten hundert Jahre

Die Entstehung des Islam - Die ersten hundert Jahre

von: Lutz Berger

Verlag C.H.Beck, 2016

ISBN: 9783406696947

Sprache: Deutsch

337 Seiten, Download: 3974 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Die Entstehung des Islam - Die ersten hundert Jahre



II.

DIE ANTIKEN GROSSREICHE
IM 6. JAHRHUNDERT


1. Das Römische Reich


Die Teilung


In der Krisenphase des 3. Jahrhunderts hatte sich herausgestellt, dass eine effektive Kontrolle des von den Römern beherrschten Raumes durch einen einzigen, in Rom residierenden Kaiser nicht mehr praktikabel war. Mit der Verteilung der Herrschaft auf verschiedene Schultern konnte kaiserliche Präsenz in der Nähe militärischer Brennpunkte sichergestellt werden. Gleichzeitig konnten potentielle Anwärter auf die höchste Macht so besser eingebunden werden. Das Vorhandensein mehrerer Kaiser bedeutete keine formale Teilung des Reiches. Die Idee der Reichseinheit ist nie aufgegeben worden. Alle Kaiser betrachteten sich als Herrscher eines Gesamtstaates, der unabhängig von ihnen bestand. In gewisser Weise war es ein Zufall, dass sich die Teilung in ein Ost- und ein Westreich nach dem Tod von Theodosius im Jahr 395 als dauerhaft erwies. Diese Teilung erfolgte nicht entlang kultureller oder sprachlicher Grenzen, auch wenn die Eliten im Osten überwiegend griechischsprachig waren und im Westen die Kenntnis des Griechischen bereits im 4. Jahrhundert stark zurückgegangen war. Auf dem Balkan etwa gehörten Gebiete zum Ostreich, in denen das Lateinische dominierte. Auch die Armee war noch stark lateinisch geprägt. Das Gleiche galt für den kaiserlichen Hof, und Devisen auf Münzen waren im Osten ebenfalls noch in den 620er-Jahren auf Lateinisch. Schließlich war Latein allerorts noch über das 7. Jahrhundert hinaus die Sprache des Rechts, auch wenn sich hier ein Wandel abzeichnete. Ab den 530er-Jahren wurden neue Gesetze, die nicht speziell die lateinischen Gebiete betrafen, auf Griechisch erlassen.[1]

Das Lateinische war aber nicht die einzige Sprache, die im Ostreich dem Griechischen Konkurrenz machte. Im Osten und Süden gewannen lokale Sprachen wieder an Bedeutung. In Ägypten war dies das Koptische, im Raum zwischen Mittelmeer und dem westiranischen Zagrosgebirge das Syrisch genannte Aramäische (nicht zu verwechseln mit dem heutigen syrischen Dialekt des Arabischen). Dieser sprachliche Wandel war eine Folge der Christianisierung. Während die von griechischsprachigen Kirchenmännern betriebene Christianisierung in den ländlichen Regionen Anatoliens einen Beitrag zum endgültigen Sieg des Griechischen über lokale Sprachen geleistet hatte,[2] lagen die Dinge in Ägypten und in Syrien anders, das hatten wir oben gesehen.[3] Koptisch und Syrisch wurden zu Literatursprachen. Im Bereich des Fruchtbaren Halbmondes gewann darüber hinaus das Arabische zunehmend an Bedeutung, das aber vorerst noch selten als Schriftsprache in Gebrauch war. Griechisch, das hier wohl immer vor allem eine Sprache der Städte gewesen war, blieb die Sprache der Bürokratie und der Teile der Kirche, die sich dem Kaiser in besonderer Weise verbunden fühlten, lange aber auch noch seiner Gegner, wenn die gelehrten Kirchenleute unter sich kommunizierten.

Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft zeigten sich nach krisenhaften Entwicklungen im 5. Jahrhundert im frühen 6. Jahrhundert komplexer, reicher und stabiler als wohl selbst in der Blütezeit des Römischen Reiches im 2. Jahrhundert. Besonders auffällig ist der Wohlstand des römischen Ostens in der Zeit um 500 im nordsyrischen Kalksteinmassiv im Hinterland von Antiochia. Hier betrieben kleine und mittlere Bauern im großen Stil einen exportorientierten Landbau, der sich vor allem auf die Olivenproduktion konzentrierte. Die Spuren der damaligen Prosperität sind noch immer in den zahlreichen aus der Zeit stammenden Gebäuderesten zu bewundern, die überall aus der Landschaft ragen. Zu jener Zeit wies die Gegend eine Bevölkerungsdichte von 100 Personen pro Quadratkilometer auf, was auch heute für landwirtschaftlich geprägte Regionen eher ungewöhnlich ist.[4] Der Wohlstand Nordsyriens stellte keinen Einzelfall dar, im Osten des Reiches war er vielmehr die Regel. Dies erlaubte die Ausstattung der Städte mit neuen Kultbauten entsprechend den Bedürfnissen der nunmehr überwiegend christlichen Bewohner, aber auch den großzügigen Wiederaufbau nach Naturkatastrophen wie Erdbeben. Der Reichtum der Städte beruhte zum großen Teil darauf, dass sie der wirtschaftliche Mittelpunkt des umgebenden Agrarlandes waren. Hier flossen Steuern und Abgaben zusammen, die von den Bauern erarbeitet wurden. Hier wurden sie konsumiert, soweit sie nicht zur Finanzierung der Armee und, in geringerem Maße, des Hofes und der Bürokratie dienten. Der Fernhandel spielte als wirtschaftliche Grundlage der Städte eine im Vergleich zum Ackerbau deutlich geringere Rolle. Wie in fast allen vormodernen Agrargesellschaften waren der Bedeutung des Handels allein schon dadurch Grenzen gesetzt, dass der Transport von schweren Gütern auf dem Landweg zu teuer war. Flüsse waren im Osten mit Ausnahme des Nils und der Flüsse des Zweistromlandes nur bedingt schiffbar. Folglich war der Handel, soweit er nicht zur See stattfand, wie seit jeher auf Luxusgüter reduziert.

Dair Simʿān liegt im Gebiet der sogenannten Toten Städte in Nordsyrien. In der Region blühte in der Spätantike und in frühislamischer Zeit die Olivenproduktion. Der dadurch entstandene Reichtum führte zu großer Siedlungsdichte und ermöglichte imposante Bauwerke. Die monumentale Anlage von Dair Simʿān diente der Versorgung von Pilgern, die von hier aus das zu Ehren des Symeon Sylites errichtete Koster besuchen konnten. Dieser Simeon hatte im 5. Jahrhundert 37 Jahre seines Lebens auf einer Säule verbracht und durch diese Leistung zu Lebzeiten und nach seinem Tod zahlreiche Pilger angezogen.

Der Staat spielte dabei eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Zum einen verhalf im spätantiken Römerreich wie in den meisten vormodernen Gesellschaften vor allem politische Macht zu dem Reichtum, mit dessen Hilfe sich einige wenige Menschen Luxusgüter verschiedenster Art kaufen konnten. Zum anderen war auch der Handel mit Massengütern da, wo er stattfand, zu guten Teilen direkt vom Staat finanziert und organisiert. Bereits in der späten Republik war die stadtrömische Bevölkerung daran gewöhnt gewesen, dass ihr subventioniertes Getreide aus Nordafrika zur Verfügung gestellt wurde. In der Kaiserzeit kam Ägypten als Getreidelieferant für die Hauptstadt hinzu. Mit der Gründung von Konstantinopel wurden die Privilegien der römischen Plebs auch den Einwohnern der neuen Hauptstadt zuteil. Die Menschenmassen, die Konstantinopel um 500 besiedelten (man kann von einer Einwohnerzahl von gut 400.000 Menschen ausgehen),[5] ließen sich mit den Ressourcen des Umlandes nicht ernähren. Aus diesem Grund organisierten die Kaiser eine Flotte, die alljährlich die Getreideüberschüsse Ägyptens in die Hauptstadt transportierte, und ließen eigens Häfen bauen, um die für den inneren Frieden der Kaiserstadt unverzichtbare Fracht zu entladen.

Konstantinopel


Konstantinopel war nicht allein wegen des guten Zugangs zum offenen Meer günstig gelegen. Es befand sich auch auf halber Strecke zwischen den potentiellen Krisenherden im Donauraum und im Zweistromland. Unter Theodosius II. war die Stadt Anfang des 5. Jahrhunderts mit mächtigen Mauern ausgestattet worden. Darüber hinaus ließ Kaiser Anastasius das thrakische Glacis rund 65 Kilometer vor den Toren noch einmal mit den sogenannten langen Mauern sichern. Derartig befestigt erwies sich Konstantinopel bis zum 4. Kreuzzug für Armeen, die nicht auf Unterstützung innerhalb der Mauern rechnen konnten, als uneinnehmbar. Zerstörungen in der Stadt wurden durch Aufstände, Feuer und Erdbeben verursacht, nicht aber durch die...

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