Psychologie der Beziehung

Psychologie der Beziehung

von: Jens Asendorpf, Reiner Banse, Franz J. Neyer

Hogrefe AG, 2017

ISBN: 9783456956176

Sprache: Deutsch

464 Seiten, Download: 2436 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Psychologie der Beziehung



1 Was ist eine Beziehung? (S. 9-10)

Viele Menschen betrachten ihre Beziehungen zu anderen Menschen als den wichtigsten Teil ihres Lebens. Dazu gehören funktionale Beziehungen, die sich aus wechselseitigen Rollenerwartungen ergeben, z. B. zwischen Lehrern und Schülern, Vorgesetzten und Mitarbeitern, vor allem aber persönliche Beziehungen, die sich zwischen zwei Menschen ungeachtet ihrer sozialen Rollen kraft ihrer Persönlichkeit entwickeln können. Beziehungen stehen im Mittelpunkt der meisten Romane, Filme und Theaterstücke. Beziehungen müssten demnach ein zentrales Thema der Psychologie sein, und man sollte erwarten, dass unter den Teildisziplinen der Psychologie eine ausgefeilte Beziehungspsychologie existiert, die nach gemeinsamen Prinzipien der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern, Klassenkameraden, Freunden, Verliebten, Ehepartnern, Arbeitskolleginnen, Lehrern und Schülern, Therapeutinnen und Klienten sucht.

Dem ist aber nicht so. Im deutschsprachigen Raum gibt es abgesehen vom vorliegenden Buch kaum Ansätze zu einer solchen einheitsstiftenden Beziehungspsychologie. Im angloamerikanischen Raum existieren zwar Versuche, „(inter)personal relationships“ zum Gegenstand einer interdisziplinären Forschung zu machen, an der sich vor allem Psychologen und Kommunikationswissenschaftler beteiligen (vgl. z. B. die Zeitschriften Journal of Social and Personal Relationships und Personal Relationships und die Übersichten von Berscheid & Regan, 2005, und Vangelisti & Perlman, 2006). Aber eine methodologisch und methodisch einheitliche Disziplin – so einheitlich wie z. B. die Persönlichkeitspsychologie – ist dabei noch nicht entstanden.

Drei Faktoren scheinen die Entwicklung einer Beziehungspsychologie zu erschweren. Erstens ist die Psychologie traditionell individuumzentriert; Beziehungen betreffen aber immer zwei Menschen, also eine Dyade. Das führt zu methodologischen, methodischen und auch forschungspraktischen Schwierigkeiten, die wohl dafür mitverantwortlich sind, dass Beziehungen von der Sozialpsychologie zugunsten individuumzentrierter Forschung zu sozialer Kognition relativ vernachlässigt werden (was immer wieder zu der Frage führt, wie sozial eigentlich die Sozialpsychologie oder die soziale Kognitionsforschung ist). Zweitens ist die umfangreiche sozialpsychologische Forschung zu sozialem Verhalten und sozialen Interaktionen nur mittelbar relevant, weil Beziehungen im Gegensatz zu den situativ fluktuierenden Interaktionen zeitlich eher stabil sind und damit Besonderheiten aufweisen, die der traditionellen Interaktionsforschung entgehen. Und drittens erscheint das Gebiet der Beziehungen auf den ersten Blick äußerst unübersichtlich wegen der enormen Unterschiede zwischen den verschiedenen Beziehungstypen. Dass diese Beziehungstypen dennoch viele Gemeinsamkeiten haben, die einen übergeordneten Begriff der Beziehung rechtfertigen, ist eine historisch neue Erkenntnis der Alltagspsychologie – so neu, dass der Begriff der Beziehung und der Bezugsperson in den 1970er-Jahren Anlass für Karikaturen war (vgl. Abbildung 1-1).

Auch wenn es bisher keine umfassende Beziehungspsychologie gibt, so gibt es doch eine reiche psychologische Forschung zu einzelnen Beziehungstypen (vgl. zu einer Übersicht z. B. Simpson & Campbell, 2013): Partnerschaft (Grau & Bierhoff, 2003; Fletcher, Simpson, Campbell & Overall, 2013), Eltern-Kind- Beziehungen (Bornstein, 2002) und Geschwisterbeziehungen (Kasten, 2003), gemeinsam betrachtet in der Familienpsychologie (Schneewind, 2010); Beziehungen zu Gleichaltrigen („peer relationships“; Rubin, Bukowski & Parker, 2006); Freundschaften (Hartup & Stevens, 1997; Salisch & Seiffge-Krenke, 2008); Beziehungen im Berufsleben (Sickendiek, 2009). Alle wichtigen Beziehungen einer Person werden in der Forschung zu (egozentrierten) sozialen Netzwerken untersucht, sowohl „offline“ (Laireiter, 1993; Wrzus, Hänel, Wagner & Neyer, 2013) als auch „online“ (Boase & Wellman, 2006; Wilson, Gosling & Graham, 2012).

In diesem ersten Kapitel wird der Beziehungsbegriff der Alltagspsychologie rekonstruiert und auf dieser Grundlage ein psychologischer Beziehungsbegriff umrissen. An einigen ausgewählten Beispielen wird dann deutlich gemacht, wie Beziehungsqualitäten in der empirischen Psychologie operationalisiert werden können.

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